Gravel-Bike-Geometrie erklärt: Was ist das und warum ist es wichtig?
Gravel Bikes gibt es für unterschiedliche Einsatzzwecke: vom schnellen Schotterrennen bis zum entspannten Bikepacking-Abenteuer. Der Schlüssel zu deinem perfekten Gravel Bike liegt darin, Geometrietabellen richtig zu lesen. Dieser Ratgeber erklärt die wichtigsten Werte und hilft dir herauszufinden, welche Gravel Bikes zu dir und deinem Fahrstil passen.


Gravel-Fahren bedeutet für jeden etwas anderes. Manche suchen das große Abenteuer auf mehrtägigen Touren oder den Wettkampf beim Racing, andere fahren entspannt durch den Wald oder zum Einkaufen. Es gibt kein richtiges oder falsches Graveln – wichtig ist nur, dass es dir Spaß macht.
Wenn du die Gravel-Bike-Geometrie verstehst, kannst du das richtige Bike für deinen Fahrstil und deine Bedürfnisse finden. Weil Gravel-Fahren so vielseitig ist, unterscheiden sich Gravel Bikes je nach Einsatzzweck erheblich. Wenn du die Geometrietabellen verschiedener Gravel Bikes vergleichst, zeigen sich diese Unterschiede am besten. Was auf den ersten Blick wie ein kleiner Zahlenunterschied aussieht, entscheidet darüber, ob ein Bike zu dir passt und wie es sich fährt.
Bei Canyon stellen wir zwei Gravel Bikes her: das Grail für schnelle, leistungsorientierte Fahrten und das Grizl für Entdeckungs- und Abenteuertouren. Falls du unsicher bist, welches am besten zu dir passt, hilft dir dieser Vergleichsratgeber zum Grail vs. Grizl bei der Entscheidung.
Inhalt
Die Wurzeln des Gravel-Fahrens
Das Radfahren auf Schotterpisten und unbefestigten Wegen ist eigentlich so alt wie das Fahrrad selbst. Als Fahrräder Ende des 19. Jahrhunderts populär wurden, gab es kaum asphaltierte Straßen. Erst mit der Verbreitung des Autos entstanden mehr befestigte Wege. Von der britischen „Rough Stuff Fellowship“, die in den 1950ern mit vollkommen ungeeigneten Rädern ins Gelände fuhr, bis zu Tour-de-France-Fahrern, die lange Streckenabschnitte auf Schotterpisten bestreiten – die Radsportgeschichte steckt voller Storys abseits asphaltierter Wege.
Das moderne Gravel-Fahren kommt aus den USA. Bei 2,2 Millionen Kilometern unbefestigter Straßen mussten Radfahrer in ländlichen Gebieten zwangsläufig auf Feldwegen und Bergstraßen fahren. 2006 startete mit der Dirty Kanza das erste große Gravel-Rennen. Im ersten Jahr fuhren 34 Starter auf 320 Kilometern durchs ländliche Kansas, aber bis 2022 war das Event auf 4.000 Teilnehmer angewachsen. Graveln ist also längst kein Nischensport mehr.
Auch bei uns werden die Straßen voller und die Autofahrer ungeduldiger. Immer mehr Radfahrer suchen daher Alternativen zu Verkehr, Lärm und Abgasen. Gravel Bikes sind dafür perfekt, weil sie abseits befestigter Wege genau in ihrem Element sind. Bei Canyon verkaufen wir inzwischen fast so viele Gravel Bikes wie Rennräder.
Gravel-Geometrie – die Grundlagen verstehen
Wenn du oft auf schwierigem Gelände unterwegs bist, willst du an deinem Gravel Bike vielleicht eine Vario-Sattelstütze montieren. Diese kannst du bei Bedarf während der Fahrt absenken und so deinen Körperschwerpunkt nach unten verlagern, um auf ruppigem Terrain mehr Kontrolle über dein Bike zu haben. Vario-Sattelstützen lassen sich nur beim Grizl:ONfly montieren – das Grail ist nicht kompatibel.
Bei Mountainbikes ist die Länge der Vario-Sattelstütze von der Rahmengröße abhängig, weil dort mit 100–200 mm ein relativ großer Verstellbereich üblich ist. Gravel-Fahrer nutzen meist kürzere Vario-Stützen mit 70–90 mm Verstellbereich. Dieser Unterschied beeinflusst die Sitzrohrlänge kaum. Daher kannst du deine Rahmengröße normal wählen.

So ermittelst du die richtige Sitzrohrlänge bei deinem Gravel Bike
Die ersten Gravel-Pioniere mussten mit dem vorliebnehmen, was sie hatten: Sie fuhren mit ungeeigneten Bikes durchs Gelände oder bastelten ihre Räder bestmöglich um. Als der Sport an Beliebtheit gewann, begannen Hersteller, spezielle Gravel Bikes zu entwickeln. Im Vergleich zu Rennrädern haben Gravel Bikes längere Radstände, entspanntere Winkel und Platz für breitere Reifen.
Moderne Geometrietabellen für Gravel Bikes zeigen nicht nur die Passform, sondern auch, für welchen Fahrstil ein Bike gedacht ist. Wir sind überzeugt: Du fährst am besten auf dem Bike, das zu dir, deinen Strecken und deinem Fahrstil passt. Unsere Designer, Konstrukteure und Testfahrer arbeiten unzählige Stunden an der perfekten Geometrie, damit du dich nur auf den Trail vor dir konzentrieren musst. Was wie kleine Zahlenunterschiede aussieht, macht den Unterschied zwischen einem guten und einem großartigen Bike aus.
Geometrietabellen wirken auf den ersten Blick einschüchternd. Dieser Ratgeber hilft dir, sie Schritt für Schritt zu entschlüsseln und auf deinen Fahrstil zu beziehen.
Sitzrohrlänge bei Vario-Sattelstützen
Die Sitzrohrlänge ist ein entscheidender Faktor bei Fahrrädern, denn an diesem Wert orientiert sich meist die Rahmengröße. Damit ist die Länge zwischen dem Tretlager und der Oberkante des Rahmens gemeint. Zusammen mit der Sattelstütze bestimmt sie deine minimale und maximale Stattelhöhe. Ist das Sitzrohr zu lang, erreichst du die Pedale nicht richtig, ist es zu kurz, kannst du nicht effizient in die Pedale treten.
Unsere Geometrietabellen zeigen dir für jeden Fahrradrahmen den Sitzhöhen-Bereich. Du musst nur deine optimale Sitzhöhe bestimmen und kannst davon abhängig deine Rahmengröße auswählen. Ein Grail in Größe M mit einem 510 mm Sitzrohr passt beispielsweise für Fahrer zwischen 1,79 m und 1,87 m. Wenn du die richtige Rahmengröße bei deinem gewünschten Canyon Bike bestimmen willst, hilft dir auch unser Perfect Positioning System (PPS) weiter.

Überstandshöhe beim Gravel Bike beachten
Prüfe die Überstandshöhe bei jedem Gravel Bike, das du in Betracht ziehst. Wenn du mit beiden Füßen flach auf dem Boden stehst, sollen ein paar Zentimeter Freiraum zwischen dem Oberrohr und deinem Schritt bleiben. So kannst du sicher anhalten, ohne dich am Oberrohr zu stoßen. Miss deine Schrittlänge und vergleiche sie mit der angegebenen Überstandhöhe in der Geometrietabelle deines Gravel Bikes.
Reach: auch für Gravel Bikes ein wichtiger Geometrie-Wert
Reach stammt ursprünglich aus der Mountainbike-Geometrie, aber für Rennradfahrer ist der Begriff oft neu. Es beschreibt die horizontale Distanz vom Mittelpunkt des Tretlagers zur Oberkante des Steuerrohrs. In Grunde bestimmt der Reach die Länge des Cockpits und damit die Sitzposition beim Fahren.
Früher wurde die tatsächliche oder effektive Oberrohrlänge gemessen – ein Wert, der auch heute noch in der Rennrad-Geometrie verwendet wird. Allerdings ist dieser Wert von Modell zu Modell schwer vergleichbar, weil er von verschiedenen Rohrwinkeln und unterschiedlichen Rahmendesigns abhängt. Weil Reach als imaginäre horizontale Linie gemessen wird, ist er konsistenter und hilft dir, verschiedene Modelle und Marken zu vergleichen.
Was bedeutet Reach+?
Für unsere Bikes mit Rennradlenker verwenden wir auch Reach+. Dieser Wert kombiniert Reach und Vorbaulänge zu einer effektiven Länge. So verstehst du die Fahrposition verschiedener Bike-Kategorien besser und kannst sie leichter vergleichen.
Zum Beispiel hat das Grail in Größe M einen Reach von 411 mm, das Ultimate in M aber nur 393 mm. Das Grail scheint länger zu sein, aber zusammen mit dem Vorbau kommt das Grail auf einen Reach+ von 456 mm, während das Ultimate bei 473 mm liegt. Der längere Grail-Rahmen nutzt einen kürzeren Vorbau als das Ultimate. Dadurch ist die Gesamtposition beim Grail kompakter.

Stack – die Lenkerhöhe verstehen
Stack zeigt dir, wie hoch dein Lenker im Verhältnis zum Tretlager sitzt. Er misst die gedachte, vertikale Distanz vom Tretlager zur Oberkante des Steuerrohrs.
Früher gab man die Steuerrohrhöhe in Geometrietabellen an, aber dabei wurden unterschiedliche Gabelhöhen außer Acht gelassen. Diese können je nach Modell stark variieren und beeinflussen die effektive Höhe des Lenkers. Das ist besonders relevant für Bikes mit Federgabeln, also hauptsächlich Mountainbikes, aber auch einige Gravel Bikes haben inzwischen Federgabeln. Daher ist der Stack ein besserer Messwert, um die Geometrie von Gravel Bikes zu beschreiben.
Stack für verschiedene Fahrstile
Stack ist eine wichtige Geometrieüberlegung für Gravel- und Rennräder. Rennradfahrer bevorzugen einen niedrigen, aggressiven Stack für eine möglichst vorgebeugte Fahrposition und maximale Aerodynamik. Junge, flexible Fahrer wollen sich meist niedrig über das Bike beugen und unter dem Wind hindurchschlüpfen. Darum wählen sie ein Bike wie das Aeroad. Unser ausdauerorientiertes Endurace hat einen höheren Stack für eine entspanntere Fahrposition.
Abseits der Straße bietet ein höherer Stack mehr Komfort und Kontrolle. Beispielsweise hat ein Rennrad wie das Ultimate in Größe M 560 mm Stack, während das geländetaugliche Grizl in Größe M auf 579 mm kommt.

Lenkwinkel und Fahrgefühl
Der Steuerrohr-Winkel beeinflusst das Lenkverhalten enorm. Ein steiler Winkel bedeutet eine schnelle, reaktionsfreudige Lenkung – perfekt für Rennradfahrer. Flachere Winkel sorgen für mehr Laufruhe, sodass sich das Bike nicht so leicht von Hindernissen ablenken lässt.
Gravel Bikes liegen irgendwo zwischen Rennrad und Mountainbike. Es ergibt also Sinn, dass der optimale Lenkwinkel zwischen diesen beiden Disziplinen liegt, aber auch hier gibt es Unterschiede je nach Einsatzzweck.
Was bedeutet steil und flach in Bezug auf den Lenkwinkel?
Als Rennmaschine hat unser Aeroad (in Größe M) einen steilen Lenkwinkel von 73,25 Grad für ein reaktionsfreudiges Fahrverhalten. Das Grail ist für lange Gravel-Touren konzipiert und nutzt einen flacheren Winkel von 71,5 Grad für mehr Laufruhe auf rauem Untergrund. Flachere Winkel verlängern auch das Cockpit und erhöhen die Stabilität.
Radstand in der Gravel-Bike-Geometrie richtig einordnen
Der Radstand ist das Ergebnis anderer Geometrie-Werte und wird nicht primär für sich allein betrachtet. Im Vergleich zu Rennrädern haben Gravel Bikes tendenziell einen längeren Radstand, weil sie einen längeren Reach und flachere Lenkwinkel haben. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Fahrposition beim Gravel Bike gestreckt ist.
Um das Ganze für Bikes in Größe M zu veranschaulichen: Das Grail hat einen Reach+ von 456 mm und einen Radstand von 1.057 mm, während das Ultimate einen Reach+ von 473 mm und einen Radstand von 988 mm hat. Obwohl das Grail einen längeren, stabileren Radstand hat, ist die Fahrposition beim Ultimate länger trotz des kürzeren Radstands. Dadurch ist das Grail kompakter in der Fahrposition und verhält sich auf rauem Terrain stabiler.

Relevanz der Tretlager-Position bei Gravel Bikes
Wir messen den sogenannte Tretlager-Offset anstatt der absoluten Höhe, weil verschiedene Reifenbreiten die Bodenfreiheit ändern. Ein 55 mm breiter Reifen ist wesentlich voluminöser und damit höher als ein 28 mm breiter Reifen. Der Offset des Tretlagers im Verhältnis zur Radachse bleibt konstant.
Bei Gravel Bikes sitzt das Tretlager meist etwas niedriger als bei Rennrädern. Grail und Grizl haben beispielsweise 75 mm Offset, das Aeroad jedoch nur 70 mm. Das macht unsere Gravel Bikes etwas stabiler in ihrem Fahrverhalten.
Bevor richtige Gravel Bikes mit einer eigenen Rahmengeometrie existierten, nutzten viele Fahrer zunächst Cyclocross Bikes wegen ihrer Reifenfreiheit. Aber bei Cyclocross Bikes ist das Tretlager seit jeher eher höher gelegen als bei Rennrädern, und somit auch bei Gravel Bikes. Das Inflite – unser Cyclocross-Weltmeister – hat beispielsweise 64 mm Offset, was deutlich höher ist und sich weniger stabil verhält. Aber das ist genau, was Cyclocrosser brauchen.

So findest du das richtige Gravel Bike für dich anhand der Geometrie
Du bist dir noch nicht sicher, welches Gravel-Bike am besten zu dir passt? Dann schau dir unseren Gravel Bike-Kaufratgeber an – dort findest du alles, was du wissen musst.
Geometrietabellen sind zwar wichtig, aber sehr abstrakt. Wenn du wissen willst, wie sich das Ganze anfühlt, besuche doch unseren Showroom in Koblenz, den Store in München oder einen unserer Experience Partner. Die Teams beraten dich gerne zur Passform und organisieren Testfahrten.
Kein Center in deiner Nähe? Folge Canyon auf X, Facebook oder Instagram für Infos zu Bike-Festivals und Demo-Events. Wir veranstalten Events und Testfahrten in ganz Europa, damit du unsere Bikes überall ausprobieren kannst.
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Über den Autor
Matt Wragg
Lerne Matt Wragg kennen, den freiberuflichen Fotografen, Autor und selbsternannten Fahrrad-Zerstörer aus Nizza, Frankreich. Trotz erfolgloser Versuche bei XC-, Trial-, 4X- und DH-Rennen hat Matts Leidenschaft für das Mountainbiken nie nachgelassen. Nach einer Zeit in der Kommunikationsberatung beschloss er, seiner Liebe zum Radsport nachzugehen und zog nach Neuseeland. Seitdem hat er die Welt bereist, Trails gejagt und eine erfolgreiche Karriere als Radsportfotograf und -autor aufgebaut. Im Jahr 2021 wurde bei ihm Autismus diagnostiziert, mit dem er seither leben lernt. Sein Fahrradkeller ist ein echtes Zeugnis seiner Liebe zum Radsport und beherbergt Fahrräder, die von Freeride bis Cargo reichen.